Das unvollendete Bild - copertina rigida, flessible

Ullstein Verlag; 1999; Pappe; Gebraucht - Gut; Bibliotheksbuch; Deutsch; 320Seiten;, Von allen Komponisten klassischer Musik ist keiner so sehr im kollektiven Bewußtsein gegenwärtig wie Wolfgang Amadeus Mozart. Kein anderer Komponist wird wie er auch von breiteren Schichten als Idol, als Ikone verehrt. Keiner wurde schon so kurz nach seinem Tod Gegenstand literarischer Aneignung und Deutung. Und keiner wurde dabei bis heute so sehr bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, verkürzt und verkitscht, sei es zur süßlich-gepuderten Rokokofigur, zur heiter-apollinischen Lichtgestalt oder zum Klischée des in seiner Musik genialen, im Leben aber närrischen und vulgären Künstlers. Das war nicht immer so: Bereits Werke aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wie E. Mörikes Mozart auf der Reise nach Prag oder E.T.A. Hoffmanns Don Juan weisen beispielhaft auch auf die Nachtseite in Werk und Person des mißverstandenen Genies hin und sind in ihrer psychologischen Exaktheit noch heute unübertroffen.

In eine große Tradition also tritt Enzo Siciliano, "einer der großen Hommmes des Lettres Italiens" (Umschlagtext), mit seinem Mozart-Roman Das unvollendete Bild (im italienischen Original I bei momenti, also sinngemäß "Die schönen Augenblicke"). Bei seinem Versuch, dem Phänomen Mozart auf die Spur zu kommen, verzichtet Siciliano auf durchgehende Handlungsstränge, schichtet verschiedene Erzähl- und Zeit-Ebenen kunstvoll ineinander: Fiktive Tagebucheinträge, Notizen und Briefe Mozarts, seiner Frau Constanze und seines Sohnes Franz Xaver, rückblickende Berichte von Angehörigen und Zeitgenossen, Schilderungen von Ereignissen im Leben Mozarts in der 3. Person fügen sich mosaikartig zusammen. Paradoxerweise entsteht hierbei gerade durch die Kollagetechnik, durch die Komposition einzelner Erzähl-Fragmente, ein Lebensbild von großer Schlüssigkeit und Stringenz. In einigen Passagen des Buches erreicht Siciliano, insbesondere im Zusammenhang mit Musik-Schilderungen, eine beeindruckende atmosphärische Dichte, läßt Abgründe und Gebrochenheit Mozart´scher Lebens- und Gefühlswelten ahnen. Die durch die Schilderung trivial anmutender Details suggerierte Nähe zum Menschen Mozart erweist sich in diesem Zusammenhang als trügerisch: Zuletzt überwiegt ein Gefühl der Fremdheit, Mozart bleibt unverstanden (-unverstehbar?), entzieht sich und seine Musik allen Versuchen einer Deutung...

Etwas getrübt wird der insgesamt positive Eindruck von Sicilianos Buch durch immer wieder einmal eingestreute, pseudo-philosophisch anmutende Allgemeinplätze. Problematisch und manchmal an der Grenze zum Banalen sind auch Versuche, Ereignisse und Details aus Mozarts Leben mit seinen Kompositionen zu verknüpfen und sie ausschließlich im postulierten biographischen Kontext zu interpretieren. Puristen und strenge Exegeten seien also gewarnt. Allen anderen, die Mozarts Musik lieben und sich mit dem Phänomen seiner Person und seines Lebens auseinandersetzen wollen, kann Das unvollendete Bild empfohlen werden. --Andreas Grabner